Lust auf einen Ausflug in meine verqueren Gehirnwindungen?! Das hier ist nun unter der Rubrik „surreale Gedanken“ einzuordnen. Also in dem Raum zwischen den Registerkarten, wo man den Kladderadatsch ablegt, über welchen man nicht nachdenkt, weil er einem unwichtig erscheint. Aber genau dort, wo keiner sucht, findet man manchmal besonders herausragende Dinge. Denn wenn wir für uns nicht direkt einen Nutzen oder eine Notwendigkeit entdecken, neigen wir dazu den tatsächlichen Wert einer Sache nicht wahrzunehmen. Weshalb sollten wir uns also nicht kurz auf einen Gedankenspaziergang einlassen? Oder haben Sie, werter Leser gerade etwas Dringendes zu vor? Nein? Na, wunderbar, dann legen wir los! Kürzlich las ich in einem Kommentar zu einem Beitrag über den Umgang mit Rückschlägen und Kränkungen, dass „Vergebung“ für Menschen das Wichtigste aber auch das Schwerste sei. Nachdem in mir sofort eine unreflektierte Abwehrhaltung aufstieg, beschloss ich den Satz zunächst auf mich wirken zu lassen. Irgendetwas trieb dort im trüben Wasser meiner Wahrnehmung herum, war aber noch nicht nah genug an die Oberfläche geraten, dass ich es hätte benennen können. So wollte ich erst einmal abwarten, was sich mir zeigte um zu sehen, welcher Aspekt genau mich an dem Satz störte, oder ob es ggf. doch eine treffende Aussage war. Mit etwas Abstand kann ich es nun wie folgt in Worte fassen: So ein Blödsinn! Gut, das ist recht plakativ, aber wir wollen ehrlich bleiben. Die Annahme, dass Vergeben schwer ist, deutet an, dass man zunächst etwas erleidet um dann im Anschluss durch einen weiteren Qualen behafteten Prozess hindurch zu gehen, welcher sich dann „Vergebung“ schimpft. Kein Wunder habe ich bei sowas eine abwehrende Reaktion (Grüße gehen raus an mein Bauchgefühl!). Vergebung als Stressfaktor Wir kommen in die unglückliche Lage zum Opfer zu werden und, dem nicht genug, bestätigen unseren Opferstatus mit weiterem Leiden. Zudem erhöht der Anspruch möglichst schnell und von Herzen vergeben zu können den Druck, wo wir doch gerade ohnehin mit der Restauration unserer Selbst ausreichend um die Ohren haben. Überladen mit zu hoch gesteckten Erwartungen an unsere Leidensfähigkeit dahinzukriechen und obendrein noch milde alles und jedem verzeihen was man uns, mit destruktiver Absicht oder grober Fahrlässigkeit, angetan hat. Das ist nicht das Licht in welchem ich die Vergebung sehe. Vergebung als Geschenk Meiner Ansicht nach ist Vergebung ein Geschenk, welches wir uns und jemand anderem machen. Wir sind in der Position einer anderen Person die Absolution für ihr Handeln zu erteilen. Das ist Selbstermächtigung statt Opferhaltung! Nur wir können dieses Geschenk geben. Freiwillig, großzügig und souverän. Wir müssen es nicht, wenn wir es nicht wollen, es kann uns jedoch beim Bewältigen bestimmten Ereignissen helfen. Wenn etwas das jemand sagt oder tut uns verletzt, ist es je nach Eskalationsgrad teilweise extrem anspruchsvoll uns wieder zu sammeln und in unsere Kraft zurückzufinden. Wir sollten uns in dieser Phase nicht dem Mühlstein mit der Aufschrift „Vergebung ist so wichtig!“ um den Hals legen. Vergebung als Selbstführsorge Es liegt viel mehr an uns, emotionale Verletzungen zu verarbeiten. Es nicht zu verdrängen oder in uns hineinzufressen, sondern uns davon abzugrenzen. Denn wir sind nicht unsere „Geschichte“, auch wenn uns Fürchterliches zugestoßen ist. Wie sehr uns etwas, gerade auf der Gefühlsebene verletzten kann, ist unwahrscheinlich individuell. Daher ist es schwer und oftmals sogar unmöglich als Außenstehender zu beurteilen, welche inneren Kämpfe unsere Mitmenschen austragen. Wenn wir den Weg zu unserer Kraft gegangen sind, kann uns Vergebung einen zusätzlichen, mächtigen Energieschub geben. Wir haben das Ruder in die Hand genommen und entscheiden über den Kurs. Vielleicht sehen wir die Vergebung auch als abschließende Geste, mit welche wir den Schlussstrich unter einem Lebensabschnitt ziehen. So lassen wir was uns beschwert hinter uns und können (selbst-)sicheren Fußes voranschreiten. Wir entscheiden, nicht diejenigen, die uns ins Straucheln bringen.